Silvia Böhler
Die Meldung war doch ein kleiner Schock: Rund 29 Prozent der Erwachsenen in Österreich haben Schwierigkeiten beim Lesen und verstehen einfache Texte nicht. Für die sogenannte PISA-Studie der OECD für Erwachsene wurden Personen im Alter zwischen 16 und 65 getestet. Die Ergebnisse zeigen, dass hierzulande fast jeder dritte Erwachsene Probleme hat.
Dabei handelt es sich nicht nur um Menschen mit Migrationshintergrund, sondern auch um Einheimische, die hier die Schule besucht haben. Burschen und Männer sind eher betroffen, ebenso ältere Menschen. Allen gemein ist, dass sie sich lange Zeit „durchwurschteln“ und Strategien entwickeln, um nicht aufzufallen. Sie lernen Texte auswendig, erfinden Tricks und Ausreden, um Situationen zu bewältigen. Welche Anstrengungen damit im Alltag oder im Beruf verbunden sind, lässt sich nur erahnen.
Keine Frage - angesichts der Entwicklungen besteht Handlungsbedarf und gefordert sind insbesondere die Schulen. Das Ziel der Schule muss sein, Kindern lesen, schreiben und rechnen beizubringen – und zwar so, dass sie später private und berufliche Situationen gut meistern können. Sind Kinder und Jugendliche aufgrund ihrer Herkunft oder weil Eltern sich zu wenig um deren Bildung kümmern, benachteiligt, muss dies frühzeitig erkannt und ausgeglichen werden. Denn mit jedem Misserfolg sinkt das Selbstvertrauen und die Scham als dumm abgestempelt zu werden wächst. Um hier gegenzusteuern, braucht es vor allem Personal – auch über die Deutschförderklassen hinweg.
Während auf Bundesebene ÖVP und FPÖ gerade darüber diskutieren, in welchen Bereichen auch bei den Schulen eingespart werden kann, hält die Vorarlberger Landesregierung in ihrem Arbeitsprogramm 2024 – 2029 fest, dass sie neue Impulse für eine Sprach- und Leseförderung setzen will. Man stehe zu den Deutschförderklassen, fordere vom Bund aber mehr Autonomie. Die Vorarlberger Leseinitiative – sprich das Lesegütesiegel für Schulen, die mit besonders innovativen Maßnahmen die Lesekompetenz ihrer Schüler fördern – soll ausgebaut werden. Außerdem wird begrüßt, dass im Rahmen der Schulautonomie Deutsch als verbindliche Schulsprache in der jeweiligen Hausordnung verankert wird. Neu sind diese Maßnahmen allerdings nicht und ob mit einem Gütesiegel und einer Hausordnung die Leseschwäche der betroffenen Kinder zu bewältigen ist, wage ich zu bezweifeln.
Aber nicht nur die Kinder brauchen unsere Unterstützung. Wie so oft, wenn Dinge erst im Erwachsenenalter gelernt werden, sind schnelle Erfolge nicht zu erwarten und Lesen und Schreiben zu lernen benötigt Zeit und Durchhaltevermögen. Zuallererst kostet es aber Überwindung, seine Schwächen zuzugeben. Das Thema ist nach wie vor ein großes Tabu und ich ziehe vor allen den Hut, die ihre Scheu überwinden und sich trauen, Hilfe anzunehmen. Sie werden sehen, was auch die OECD-Studie belegt: Es gibt viele, die das gleiche Problem haben und - Lesen kann Freude bereiten.
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